ocher die

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No. 11

Sehnsucht nach der
Mitternachtssonne

Vom nahen Kirchturm schlagt die Uhr die
zwolite Stunde. In der engen Gasse der Alt-

= stadt h6rt man den Schritt des diensttuen-

den Polizisten, schallt durch ein offenes
Fenster das frohliche Lachen eines jungen
Madchens und ein  ungeduldiger Katzen-
ireier sendet sein klagenden  Liebeslied
hinaus in die Nacht. Ich beschleunige meine
Schritte und eile von Gasse zu Gasse aus

der Altstadt in den Vasagatan, Kungsgatan

und wieder zuriick, Ich suche etwas und
kann mir selbst nicht sagen, warum ich wie
cin Golem durch die einsame Altstadt und

wie ein  bummellustiger_ Nachtschw&4rmer

durch die modernen Strassen des Centrums
renne.

Ich erlebe zum werstenmale die  Mitter-
nachtssone, jene Natunerscheinung, welche

in den nordlichen  Landern waA4hnrend des

- Hochsommers auftritt. Obwohl Stockholm

infolge seiner sudlichen Lage eigentlich nur
wenig von den Strahlen dieser Sonne be-
schienen wird, macht es doch auf mich

einen iiberwaltigenden Findruck. Man fihlt

sich in einer anderen Welt, man ist begei-
stert und fasciniert von diesem Schauspiel
der Natur. Wenn man dann aber erfahrt,
dass es hoch oben in Abisko und Hammer-
fest w&hnrend dieser Zeit niemals Nacht
wird, dass man Tag und Nacht nur durch
die Uhr unterscheiden kann, dann packt
einen die grosse Sehnsucht nach dem ho-
hen Norden, jene Sehnsucht die der, wel-
Mitternachtssonne nur einmal
scheinen sah, niemals mehr los werden

kann wird,

Jeder Schwede ist
Dein Bruder

Es macht auf mich iden Eindruck, als ob
jeder Schwede deutsch spnechen  wiirde.

Ich habe Gelegenheit mit Menschen aller

Schichten  zusammen  zukommen und
stelle itiberall das Gleiche fest; Schweden
haben «ein goldenes Herz! Nicht nur be-
sonders  »erfahrene«  Reisende,  sondern
auch der  Volkmund  erzahlt, dass die
Nordlinder herbe, harte und kalte Men-
schen sind, so wie man etwa die Sid-
lander als  heissblitig, 'tempenamentvoll
und draufg&ngerisch bezeichnet. Wohl be-
auch der  Volksmund  erzihlt, dass die

obeiden Včlkern, aber niemals darf man

den Schweden als herb, hart oder kalt
bezeichnen, Er hat ein goldenes Herz und
das hat sich mir, w&hrend meines langen
Aufenthaltes in Schweden wiederholt be-
statigt. In wenigen Landern Europas fand

Das Schloss Vadstena am Gšta - Kanal

ich solch ein FEntgegenkommen, eine sol-
che _ Bereitwilligkeit, Hilfsbeneitschaft und
Freundlichkeit wie dort oben im hohen
Norden und ich glaube, dass ich nicht zu
viel sage, wenn ich behaupte, dass ein-
iach jeder Schwede zu seinem Gaste wie
ein Bruder ist.

Ich nehme an, dass von den vielen Se-
henswiirdigkeiten Schwedens die »Schwe-
denplatte« eine der grossten Sehenswiir-
digkeiten ist. Wer Hunger verspiirt, muss
essen und wer iessen will, muss eben eines
der _vielen Cafćs oder Restaurants in
Stockholm aufsuchen. Man setzt sich an
einen gedeckten Tisch und harrt nun der
Dinge, die da kommen 'mčgen. Man war-
tet, wartet finf Minuten, zehn und noch
mehr, aber keine der hier beschaitigten
Fr&kens scheint mich bedienen zu woll-
len. Obwohl mir das standige Aufstehen
der anderen Giste, die mit einem Teller
in der Hand der Mitte des grossen Saales
zustreben, auffallt, kann ich mir nicht
erklanen, was diese Menschen  dort zu
schaffen haben. Endlich scheint der Di-
rektor ides Hauses erkannt zu haben,
dass ich noch ein »Greenhorn« bin und
beeilt sich, mich in die Gebr4uche und
Finessen der  schwedischen  Gastronomie
einzufiihren. Nun wandere auch iich mit
meinem  Teller der Mitte ides Saales zu
und finde hier einen riesengrossen  Tisch,
mit allen Spezialitaten der schwedischen
Kiche. Nirgends hat das Sprichwort von
der Wahl und Qual_ mehr Berechtigung
als hier, Kann es iiberhaupt noch etwas
$eben, was man diesen auserlesenen Ge-

richten hinzufiigen kćnnte? Natiirlich ver-
falle auch ich in den Fehler aller Anfan-
ger, indem ich zu viel des Guten iiber
mich — oder besser gesagt: in mich —
ergehen lasse, Denn hier handelt es sich
ja erst um die Vorspeise, denn die Haupt-
mahlzeit und der  Nachtisch wird an-
schliessend von den schmucken Frčkens
serviert. Da aber auch fiir mich das erste
Menue bei der Vorspeise endete, so er-
fuhr ich erst am nachsten Tage, dass zu
dem Menue, welches zwei, drei, vier und
auch mehr Schweden-Kronen kostet, aus-
ser dieser ein ganzes Essen fiillenden Vor-
speise noch ein Braten mit Beilagen ,Obst,
Dessert und  Kaffee  gehč6rt. Schweden-
kiche-Schwedenplatte, Schlaraffenland
zur h6chsten Potenz erhoben!

Susse Wirstel um
Mitternach

Weil ich gerade vom Essen schreibe, so
sollen auch die  schwedischen  Wiirstel-
manner,  welche  allnachtlich mit  ihren
Wurstelkanonen im  Kungsgatan und vor
vor der kčćnigl. Oper parken, ihre Ehrung
erfahren.

Wer nach einem aufregenden Kinobe-
suche oder anstrengenden  Abendspazier-
Sange plotzlich noch einen klenen Hun-
Ser verspiirt, der besucht die fahrenden
Wiurstelm&nner. Hier dampfen die langen,
saftigen Wirstel im Kessel und fir weni-
e Oere erhalt man in Papier gewickelt
und mit siissen Senf beschmiert ein Paar
solcher  Wirstel, welche den mitteleuro-
paischen Erzeugnissen aber auch in kei-
ner Weise nachstehen. Selbst der  siisse
Senf bekommt dem Gaumen und von nun
an, blden »siisse Wirstel um Mitternacht«

den Abschluss meines :t4glichen Program-
mes,

Jeder Dritte hat ein
Telefon

Wihrend die wanderen Vč6lker Europas
sich dawernd den Kopf zerbrechen, wel-
chen Nichtangriffspakt sie derzeit schlies-
sen sollen, wollen, diirfen und kčnnen,
Kanonen und Flugzeuge bauen und dabei
utopische Triume auf sich einwirken las-
sen, arbeitet das nordliche Schweden zum
Wohle seines Landes und Volkes, Mehr
als ein Jahrhundert lebt Schweden mit
allen V6lkern und auch mit sich selbst in
Frieden und arbeitet zum Wohle seiner
Biirger, Das soziale Wohlergehen des Lan-
des zeigt sich in den vielen musterhaften
Gartenbauten, in welchen mehr als 50,090
Familien siedeln, Mehr als 60% der Ar-
beiter der Stadt lebem in neuen, durch-
aus modernen  Wohnungen mit  Zentral-

Besuchen Sie
das sch&one
Sechweden

heizung, Heisswasseranlage, Badezimmern,
Eisschranken, mechanischen  Waschkiich=2n
und dergleichen Komfort. Sie sind in den
vielstockigen  Bl&cken  gelegen, die von
der >»H, S. B.« Organisation erbaut wur-
den, deren Wirkisamkeit sich auf 68 Stadt-
Sebiete  erstreckt, Die Dienstwohnungen
des »Kollektivhuset« haben fir die  be-
rufstatigen  Klassen das Problem  geločsi,
wie ein Heim befriedigend geleitet wird,
wo Mann und Frau_ in Tatigkeit ausser
Hause \ beschaftigt sind. Jeder  dritte
Bewohner hat ein Telefon, und die beste-
Krankenhaus-,  Poliklinik- oder  Zahnbe-
handlung sind fiir wenige Kronen pro Tag
zu haben. Die alten Leute werden in Mu-
steranstalten verpflegt, wie den Gammel-
by und: Stureby Heimen, Schulen sind er-
richtet mit Hinsicht auf Zugang von Licht
und frischer Luft, und gew&4hren jede FEr-
leichterung zur Ausiibung der Gesundkeit
spendenden = Korperkultur,  wegen = der
Schweden uberall beriihmt ist, Mčglich-
keiten, die die Schulen nicht gewšhren,
Seschaffen vom Stadium, ćem

werden

Sportpalast, den Schwimmbadern und von
den elf grossen Sportplatzen...
Fritz Salus

Max Neuburger

Zum 70. Geburitstag

Sicher ist niemand als Max  Neuburger
weniger  geeignet, Gegenstand  feierlicher
Ehrungen, Mittelpunkt eines groBen Fest-
Sepranges zu sein. Sicher waere ein iiber-
schwengliches Lob dem Wesen idieses Ge-
lehrten sehr wenig angemessen. Aber dies
eine muB doch wohl an einem solchen Tag
crlaubt sein: dass wir uns dankbar dessen
erinnern, was wir bei Neuburger gefunden
haben, da wir doch zu ihm im  Verhaltnis
der Beschenkten stehen,

Neuburger aus der heutigen Medizinge-
schichte wegzudenken, ist fir jeden Medi-
zinhistoriker unvorstellbar, Uns, den Mitle-
benden, wiirde etwas sehr Wichtiges fehlen,
ein Element der Mitte, der M. hlichkeit,
des Zusammenhalts und der  Verbindung;
uns wiirde fehlen: die Zuflucht zu einem
Forscher, zu dem man ein fast unendliches
Vertrauen haben kann, wenn es gilt Dun-
kelheiten der Zeit oder eines  Menschen-
schicksals von Grund (aus zu begreifen und
damit schon zu «einem Teil aufzuhellen,
Denn dies ist ja gewiB so: dass die  Per-
spektiven und Kostbarkeiten in Neuburgers
Werk solche Kostbarkeiten eben nicht wa-
ren ohne die weite und freie Menschlich-

keit eines Forschers, der nicht ausschliesst
und abweist, sondern alles, auch das Frem-
de und Andersartige, ehrfiirchtić und genau
in sich aufnimmt,

Ob Neuburger in seiner »Geschichte der
Medizin« (2 Bande) in den  Vordergrund
seiner Forschertatigkeit die genetische Dar-
stellung medizinischer Probleme stellt und
die Verkniipfung der Medizingeschichte mit
der allgemeinen Kulturgeschichte. auizeigt,
ob man in seiner_ »Hermann Nothnagel —
Biographie« auf _ die  Idealgestalt eines
deutschen Gelehrten stoBt, von dem das
Sefligelte Wort stammt, nur ein guter
Mensch kann ein guter Arzt sein, oder auf
jenes klassische Werk, »Die Lehre von der
Heikraft der Natur im Wandel der Zeiten«,
worin gezeigt wird, dass schon 'in urden-
klichen Zeiten das Fieber einen Schliissel
zum Verstindnis der natirlichen Heilungs-
vorginge bildet: immer spiirt man die innige
Versenkung in das eigentiimliche Formprin-
zip jeder Gestalt, die diesem klassischen
Historismus zugrunde liegt,

Man hat oft und mit Recht darauf auf-
merksam gemacht, dass bei Neuburger Ge-
lehrtentum und Arzttum in engster Verbin-
dung stehen, Die Bedeutung dieses Zusam-
menhanges kann wohl nicht hoch genug an-
geschlagen werden, werden man nur eine
solche Persunalunien zugleich als persćn-

liche, eigene Leistung Neuburgers auffasst.
Das vorbehaltlose Eingehen auf Menschen
und Geschehnisse, das Neuburger eigen ist,
das »nil humani mihi alienum«, das scheint
uns zur Haltung des Arztes zu gehčren, der
da wei, dass er den jungen Hčrern der Me-
dizin nicht dient mit doktrin&4ner Belehrung
sondern allein mit solchen Vorlesungen aus
dem Gebiete der Geschichtsmedizin, die fir
die Arztliche Allgemeinheit das Greifbarste
und Wichtigste, die lebensvolle Ueberliefe-
rung des therapeutischen Tatsachengehaltes
der alten Autoren bringen. S4mtliche Spe-
zialfaecher k&nnen aug einem  pragmati-
schen Studium der Medizingeschichte gera-
de in der jetzigen Zeit neues Leben und
neue Entwicklungsmoglichkeiten  sch&pfen.
So lernt man jetzt wieder einsehen- nur um
en Beispiel anzufiihren, dass so wie das
auch Neuburger geschildert hat (siehe Wie-
ner klinische Wochenschrift 1928, Nr. 21)
die Behandlung der Hautkrankheiten nicht
bloB so wie _seit Hebra  vorwiegend mit
4uBeren Mitteln, sondern ganz besonders
durch innere stoffwechsel — und konstitu-
tionsbeeinflussende  Mittel  erfolgen mus,
$anz im Sinne der alten humoralpathologi-
schen Saeftelehre (Dyskrasielehre), Selbst
ein so vorwiegend  technisch  aussehendes
Fach wie die Zahnheilkunde kann aus den
alten Schriften (Galen, Paracelsus, Stahl,

rar o o

Richter) bei der Behandlung der Fiterungs-
prozesse und der besonders schwer thera-
peutisch  beeinfluBbaren  Alveolarpyorrhoe
die auch schon damals existiert hatte und
geheilt wurde, viel Wertvolles entnehmen.

Unter Zuhilfenahme solcher duBerer und
innerer, heute mit Unrecht auBer Gebrauch

Dalmatiner

INSERTENPULVER

ame aajeme“
MARKE
».HAMAD“

ist das beste und sicherste
1. La 4:1] 21451
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*
Erzeugung und Export en gros:

Insekfenpulverfahrik ,HAMAD“
G. m. b. H.

TROGIR, Jugoslavia

gekommener zerteilender, entziindungswid-
rifer,  abszessreifender,  aufl&sender und
saiteumstimmender Mittel, wird man auch